• Roma in Europa

Schweden

Die schwedische Romabevölkerung wird auf 15.000 bis 20.000 Personen geschätzt. Die größte Gruppe stellen die so genannten "Finnischen Rom_nija" – die in der Mehrzahl auch Finnisch sprechen – dar, gefolgt von den "Schwedischen Rom_nija", die eine Nordische Romani-Sprache sprechen und ursprünglich in den 1920er Jahren aus Russland und Frankreich nach Schweden kamen, sowie den Nicht-Nordischen Rom_nija, die in den 1960er und 1970er Jahren aus verschiedenen Ländern Mitteleuropas nach Schweden kamen. Die ersten Rom_nija kamen bereits im 16. Jahrhundert nach Schweden, und bis ins 20. Jahrhundert waren viele von ihnen in Traditionsberufen als Pferdehändler und Silberschmiede tätig. In den 1950er Jahren begannen viele Rom_nija – im Zuge eines staatlich finanzierten Programms zur Integration der Rom_nija in die schwedische Wohlfahrtsgesellschaft – sesshaft zu werden. 1945 unterzeichneten Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland einen Vertrag zur Schaffung eines gemeinsamen skandinavischen Arbeitsmarktes, was die Migration zwischen den einzelnen Ländern wesentlich erleichterte. Die meisten der Nicht-Nordischen Rom_nija besitzen nicht die schwedische Staatsbürgerschaft und haben nur Flüchtlingsstatus. Mit der Novellierung der schwedischen Verfassung im Jahre 1974 wurden weitgehende Reformen eingeleitet, in deren Zuge der Unterricht – gemeinsam mit Unterrichtsunterlagen – in verschiedenen Romasprachen eingeführt wurde und ausländische Rom_nija auf lokaler und regionaler Ebene das aktive Wahlrecht erhielten. Doch Schwedens Umgang mit seiner Romabevölkerung war äußerst kontroversiell. Angeblich führte die schwedische Regierung an Tausenden von Romnija Zwangssterilisierungen durch, um die Gesellschaft von ihrer Meinung nach rassisch minderwertigen Typen zu säubern. Die Operationen begannen 1935 und endeten erst im Jahre 1976. Das Programm hatte seinen Ursprung in der um die Jahrhundertwende populären Eugenik-Bewegung, die darauf abzielte, durch die Kontrolle genetischer Faktoren in der Reproduktion "die Menschheit zu verbessern". Die Sterilisierung wurde aufgrund von "unverkennbar zigeunerischem Aussehen, Psychopathie oder vagabundierender Lebensweise" angeordnet. Während den 1990er Jahren kam es in Schweden zu einem Ansteigen rassistischer Diskriminierung gegenüber Rom_nija. Rom_nija wurden wiederholt von Campingplätzen und aus Restaurants, Bars und Geschäften verwiesen. Im Jahre 1999 bestätigte der Schwedische Oberste Gerichtshof ein Urteil, dass ein Zutrittsverbot eines Supermarktes für eine Romni ungesetzlich sei. Das Gericht erklärte, dass "... dieses Verbot derart formuliert ist, dass es fast ausschließlich auf Frauen aus der Romagruppe zutrifft, genauer noch auf Frauen aus der Gruppe der finnischen Rom_nija".

Kampf gegen die Diskriminierung von Rom_nija

Im Jahr 2001 wurde von der schwedischen Regierung ein Ombudsmann gegen Ethnische Diskriminierung eingesetzt; dieser soll Diskriminierungen gegen die Rom_nija aufzeigen und Lösungsstrategien entwickeln. Das Projekt half nicht nur den Rom_nija, die teilweise direkte Beschwerden an den Ombudsmann weiterleiteten, sondern schuf in der Öffentlichkeit einen Raum für Rom_nija. Medien berichteten verstärkt über die Minderheit und trugen so teilweise zu einem Abbau von Vorurteilen bei. Der Ombudsmann half auch bei vielen gerichtlichen und außergerichtlichen Diskriminierungsverfahren. 

Das Projekt RomArchiv setzt sich innerhalb eines Artikels mit der Entwicklung des Rom_nija-Aktivismus in Schweden auseinander, der auch Einfluss auf ganz Skandinavien hatte:

Die Anfänge des Roma-Aktivismus in Schweden

Bereits 1933 richtete der schwedische Kalderasch a-Sprecher Johan Dimitri Taikon eine Petition an die Nationale Bildungsbehörde, in der er die Anerkennung des Rechts auf Bildung für Roma-Kinder forderte. Sein Gesuch wurde abgelehnt. Taikon bot sich darüber hinaus als Vermittler im Dialog um Bürgerrechte und -pflichten zwischen schwedischen Sinti und Roma und dem Staat an. Auch dieses Angebot wurde von Seiten des Staates abgelehnt, doch mit weiteren Petitionen erreichte Taikon im Jahr 1943 die Umsetzung eines dreimonatigen Pilotprojekts zur Ausbildung von Roma-Kindern in den Lagern.10 Es ließe sich durchaus schon als Erfolg dieses Pilotprojekts bezeichnen, wenn nun einige Staatsbeamte zum ersten Mal registrierten, dass schwedische Sinti und Roma gewillt waren, eine Schule zu besuchen. Im Jahr 1947 rief der weniger bekannte Roma-Aktivist Rupert Bersico eine zweite Initiative ins Leben. Seine Petition an die Nationale Rechtsbehörde forderte eine umfassende Untersuchung der Situation der schwedischen Sinti und Roma. Die provisorischen Schulen in den Lagern waren in seinen Augen pädagogisch wertlos. Er war überzeugt, dass es notwendig wäre, dass Sinti und Roma feste Wohnsitze haben, und setzte sich daher für Wohnbauprojekte ein. Er war aber auch der Ansicht, dass der »umherziehende Lebensstil« von Sinti und Roma unterdrückt werden müsse, und bot an, die Umsetzung entsprechender Gesetze zu kontrollieren.

Auch dieser Vorschlag wurde von der Regierung abgelehnt. Doch der »Ball war ins Rollen gekommen«. Im Jahr 1953 forderte die Kommunistische Partei Schwedens in einem parlamentarischen Antrag die von Bersico geforderte Untersuchung. Zudem wurde dabei zum ersten Mal das Thema »Rassendiskriminierung« von Sinti und Roma adressiert sowie deren Untersuchung und Beendigung gefordert.11 Die regierende Sozialdemokratische Partei antwortete darauf 1954 mit der Einsetzung einer großen Untersuchungskommission. Dabei handelte es sich um die erste »Zigeuneruntersuchung«, die nicht mit dem Ziel der Repression angestrengt wurde. Auf der Agenda stand nun die Einbeziehung der schwedischen Sinti und Roma in ein übergreifendes Sozialstaatsprojekt. Notwendig wurde dieser Schritt, da die alte repressive Politik gescheitert war; Sinti und Roma hatten das Land nicht verlassen. Stattdessen lieferte die Minderheit der Sinti und Roma, die zu dieser Zeit nur aus rund 700 Personen bestand, ein nicht akzeptierbares Beispiel nach wie vor, herrschender Ungleichheit, anhand dessen die Idee einer gerechten und modernen Gesellschaft, wie sie dem schwedischen Sozialsystem vorschwebte, kritisiert werden konnte. Sinti und Roma wurden die volle Staatsbürgerschaft und die Anerkennung ihrer Rechte, einschließlich des Rechtes auf Bildung und Wohnraum, zugesichert. Bemerkenswerterweise nahm diese Überarbeitung keinen Einfluss auf die Diskriminierung der schwedischen Resande,12 die im Abschlussbericht nicht erwähnt wurden.

Die Jahrhunderte eines staatlich initiierten Antiziganismus und einer Politik offener Repression gingen nun zu Ende. Die neue Politik aber forderte Assimilation – und bot demnach keinen Platz für Minderheitenrechte, geschweige denn für die gleichwertige Behandlung von Sinti und Roma. Gegen die nach wie vor existente Diskriminierung und den weitverbreiteten Antiziganismus auf allen behördlichen Ebenen wie auch in der Gesellschaft selbst wurde nichts unternommen. Vor allem aber verfehlte die neue Politik ihre eigenen Ziele. Vor diesem Hintergrund wurden schwedische Sinti und Roma in den 1960er Jahren schließlich selbst politisch aktiv.

 

Der Einfluss von Katarina Taikon

Die Bedeutung der Autorin und Aktivistin Katarina Taikon für die schwedische Roma-Bürgerrechtsbewegung lässt sich schwer überbewerten.13 Ihr Einfluss war auch jenseits der schwedischen Grenzen, besonders in Finnland, spürbar. Als Kind war es Taikon verboten, die Schule zu besuchen. Erst als Jugendliche lernte sie lesen und schreiben. Allen Widrigkeiten zum Trotz wurde sie zu einer der meist diskutierten Autor_innen der 1960er Jahre. In ihren autobiografisch eingefärbten Büchern »Zigenerska« (›Zigeuner‹, 1963) und »Zigenare är vi« (›Zigeuner sind wir‹, 1967) hinterfragte sie die vorherrschenden Stereotype gegenüber Sinti und Roma und deren Diskriminierung in der schwedischen Gesellschaft, kritisierte aber auch die patriarchalen Strukturen innerhalb der Kalderascha-Community.[1]

Den ganzen Artikel gibt es hier: (https://www.romarchive.eu/de/roma-civil-rights-movement/sweden-narrative-essay/)

Weiters zu erwähnen ist noch ihre Schwester und die bekannte Silberschmiedin Rosa Taikon. Weitere Infos zu ihrer Person:

https://www.romarchive.eu/de/collection/p/rosa-taikon/

 

Soraya Post

Eine weitere wichtige Figur, was den Rom_nija-Aktivismus nicht nur in Schweden, sondern in ganz Europa betrifft, ist die Schwedin Soraya Post. Sie wurde am 15. Oktober 1956 in Göteborg, Schweden, geboren. Ihr Vater ist Jude aus Deutschland und ihre Mutter stammt aus der Gemeinschaft der Traveller in Schweden. Sie ist schwedische Politikerin und Roma-Menschenrechtsaktivistin. 2014 wurde sie zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt. Sie trat als Vertreterin der Partei „Feministische Initiative (F!)“ an und schloss sich kurz nach der Wahl der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament an. Sie war stets eine treibende Kraft im EU-Parlament um für die Rechte der Rom*nija zu kämpfen und um auf Missstände aufmerksam zu machen. Seit 2019 ist Soraya Post nicht mehr im EU-Parlament vertreten.

2013/2014 wurde öffentlich, dass die schwedische Polizei alle Rom_nija im Land registrierte. Selbst Kinder wurden namentlich festgehalten, sowie deren Verwandtschaftsbeziehungen. Über 4.000 Roma und Romnija wurden insgesamt auf der Liste registriert, alles ohne deren Wissen und ohne, dass es einen plausiblen Grund gegeben hätte. Die Liste wurde schon 2011 von der Polizei illegal angelegt, da es in Schweden verboten ist Menschen aufgrund ihrer Ethnie zu registrieren.

„Ein ethnisches Register würde nicht nur gegen schwedisches Recht, sondern auch gegen internationale Konventionen verstoßen, wie auch Premier Fredrik Reinfeldt konstatierte. Fred Taikon, Herausgeber der Roma-Zeitschrift É Romani Glinda, sieht einen „unglaublichen Rechtsbruch.“ Domino Kai, die in der Regierungskanzlei an einer Studie über Roma arbeitete, hält die Register für „reinen Antiziganismus“. Justizministerin Beatrice Ask und Demokratieministerin Birgitta Ohlsson versprachen „lückenlose Aufklärung“.“[2]

Weiterführende Links zum Thema:

https://de.wikipedia.org/wiki/Resandefolket

https://www.derstandard.at/story/1379292998963/polizeiregister-fuer-roma-ich-schaeme-mich-fuer-schweden

https://voxeurop.eu/de/roma-register-in-schweden/

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-09/roma-register-schweden-skane-polizei/seite-2

 

[1] Rights held by: Jan Selling (text) — Dominikus Müller (translation) | Licensed by: Jan Selling (text) — Dominikus Müller (translation) | Licensed under: CC-BY-NC 3.0 Germany | Provided by: RomArchive

[2] https://taz.de/Rassismus-in-Schweden/!5058465/

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