• Geschichte

Wir sind das Volk der Pharaonen (eine Erzählung der Roma)

Soviel wissen wir - und auch der Raschaj [= Pfarrer, Priester] sagt es in der Kirche -, dass Gott dem Pharao so lange Plagen geschickt hat, bis er sich ergab und die Juden gehen ließ. Die Juden hörten auf den Moses, und Gott - er wusste, warum - erhörte den Moses. Und Moses setze es auch durch, überredete Gott, ich weiß nicht wie er es gemacht hat, dass er im ganzen Land die Erstgeborenen erschlug, auch den Erstgeborenen des Pharao, das heißt also, auch einen von den Zigeunern, denn wir waren das Hausvolk des Pharao, seine Verwandten. Und das alles darum, weil der Pharao die Juden nicht weglassen wollte. Nie habe ich verstanden, warum er sie so sehr brauchte, und einmal habe ich einen Raschaj danach gefragt. Der sagte mir, der Pharao hätte die Juden schon gleich ziehen lassen, aber Gott habe das Herz des Pharao gehärtet, damit dann er, nämlich Gott, Wunder tun könne. Gut, alle großen Herren haben ihre Schrullen, warum also nicht auch der Herrgott?

Am Ende ließ der Pharao also die Juden ziehen, denn auch die übrigen Roma sagten ihm, er soll sie freigeben, sie würden auch ohne die Juden irgendwie weiterkommen. Soweit war es also, die Juden zogen ab und nahmen Gold und Silber und alles mit, was der Pharao an teuren Sachen hatte. Trotzdem freuten sich die Roma - weg sind sie, Gott sei mit ihnen. (...) Auch uns, seine Verwandtschaft, lud er schnell auf. Umsonst sagten wir, er solle doch wenigstens uns zu Hause lassen. Gott ist der Freund der Juden, und wer Gott zum Freund hat, der wird selig, und es muss auch jemand auf das Feuer Acht geben, während der Pharao fort ist. Alles umsonst. Er lud uns auf Wagen und Pferde, und dann los!

Es gab auch ein Unglück, wie wir es vorausgesagt hatten. Durch die Wüste kamen wir noch irgendwie, aber die Juden waren schon mitten im Roten Meer. Der Moses hatte mit einem Stock auf das Wasser geschlagen; das Wasser teilte sich, und die Juden kamen trockenen Fußes hinüber. Aber nicht das Heer des Pharao! Auch seine Soldaten erreichten die Mitte des Wassers, aber Moses und seine Juden waren schon am anderen Ufer. Da nahm der Moses wieder seinen Stock, schlug auf das Wasser, und das floss wieder zusammen über den Köpfen des Pharao und seiner Soldaten. Verloren der Pharao und sein ganzes Volk!

Das heißt, nicht das ganze! Denn wir, die Roma, das Hausvolk, waren am Ufer geblieben und warteten, wie die Dinge ausgehen würden. Mochte sich unser Herr Verwandter mit den geheiligten Soldaten Gottes allein raufen. Als wir sahen, dass das Wasser über dem Kopf des Pharao zusammenschlug, dachten wir: "dschas khere" ("Wir gehen nach Hause") und kehrten um. Dann wollten wir aus unserer Mitte einen neuen Pharao wählen, und alles würde in Ordnung sein. Aber Gott hatte auch an uns gedacht. Ich mache noch ein zweites Wunder, sagte er sich, und ließ einen Wirbelsturm auf uns los. Der fegte Wagen und Pferde durcheinander. Als wir uns von dem Schrecken erholt hatten, war die ganze Verwandtschaft weg, die einen hatte der Sturm dahin, die anderen dorthin geweht. Seither sind wir über die ganze Erde verstreut. Dabei sind auch die Tapfersten unseres Volkes verlorengegangen. Noch ein Wort. Was ist aus den Juden geworden? Es wird erzählt, sie seien noch vierzig Jahre durch die Wüste gewandert, und keiner von den Alten habe die neue Heimat erlebt. Die einen erlagen der Sonnenhitze, die anderen dem Durchfall. Inzwischen lebten die anderen Völker, die mit Gott nicht so und nicht so standen, weder seine Freunde noch seine Feinde, munter und vergnügt weiter. Und am Ende zerstreute Gott auch die Juden über die ganze Welt, wo er doch ihr Gönner war. (...)

Quelle: Tibor Bartos: Zigeunermärchen aus Ungarn. (übersetzt aus dem Ungarischen). Fischer Taschenbuch Verlag. Berlin, 1976

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